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Yoga und Trauma(heilung)

Aktualisiert: 12. Feb.

Um Menschen mit traumatischen Erlebnissen oder auch diagnostizierten Traumafolgestörungen im Yoga angemessen zu begegnen, braucht es eine Yogapraxis und körperorientierte Begleitung, die den Körper als sicheren Ort wahrt und schützt.


Dieser Artikel soll den Anspruch an eine Yogastunde im TSY darstellen und ersetzt keine Aus- oder Fortbildung in diesem Bereich. Es reicht nicht aus, sich über Trauma ein Buch durchzulesen, YouTube-Videos zu schauen und sich dann "traumasensibel" labeln zu können.


Was ist traumasensibles Yoga?

Der Ansatz des traumasensiblen Yogas (im Weiteren: TSY) wurde im Traumacenter Boston entwickelt und durch mehrere wissenschaftlichen Studien belegt. Im Rahmen der Traumatherapie wird dieser Ansatz dort integrativ eingesetzt und auf seine Wirksamkeit geprüft. Das eigene Gefühl für den Körper und dessen Wahrnehmung steht bei diesem Ansatz im Fokus, sowie in der Gegenwart wieder anzukommen und lernen sich selbst und das Umfeld zu beobachten anstatt direkt zu reagieren. Dies stellt eine der Grundvoraussetzungen dar, um sich den traumatischen Erinnerungen und Gefühlen stellen zu können.


Der Ansatz des TSY stellt eine wirkungsvolle Methode zur Behandlung psychischer und psychiatrischer Störungen, da sich positive Effekte zeigen, die verschiedene Symptomatiken lindern und sich positiv auswirken können. Dies spricht vor allem die Bereiche an, in denen ein überreiztes Nervensystem vorliegt, das viel mit Anspannung, Nervosität und Konzentrationsschwierigkeiten reagiert. Die Praxis von Pranayama und Achtsamkeitstechniken kann förderlich bei der Identifikation negativer Gedanken wirken und dem Schritt sich von diesen langsam zu distanzieren. Hierbei muss jedoch festgehalten werden, dass die Wirkung des Yoga vorwiegend auf der körperlichen Ebene stattfindet. Bei einer traumatischen Erfahrung können die Körperwahrnehmungen und auch ein Teil der Empfindungen wie eingefroren sein, was dazu führt, dass die Informationen im Gehirn in anderen Situationen, die ähnlich erscheinen, die gleichen Gefühle, Reaktionen und Empfindungen wecken, welche teilweise von außen als sehr unberechenbar wahrgenommen werden können.


Im Yoga wird der Atem mit Bewegungen des Körpers verknüpft, was dazu führt, dass das körperliche und emotionale Wohlbefinden auf verschiedene Arten beeinflusst werden kann. Dies kann auch am eigenen Körper (ohne traumatische Erfahrungen) festgestellt werden: Wenn du langsam und tief atmest, so entwickelst du ein Gefühl der Sicherheit. Beschleunigt sich dein Atem spontan oder du hältst ihn ruckartig an, so versetzten wir das Nervensystem und somit unser Gehirn in Alarmbereitschaft, was verschiedene Zustände im Körper einer Person mit Traumaerfahrungen auslösen kann.


Damit wir im Yoga Menschen mit einer Traumafolgestörung achtsam, professionell und nicht traumaaktivierend begegnen, braucht es Wissen, Erfahrung und Sicherheit in vielen Bereichen – nicht nur des Yoga und unserem Nervensystem. Auch das umfangreiche Wissen über Trauma(-Folgestörungen), spezifische Bedürfnisse von traumatisierten Menschen und der Symptomatik, sowie dem Umgang bei einem aufkommenden Trauma, wenn dies durch die Praxis aktiviert wurde. All dies braucht ein fundiertes Wissen, um die Stunden traumasensibel gestalten zu können und die Praxis einer sehr sensiblen und verletzlichen Gruppe von Menschen zugänglich zu machen.


Was muss ich unter einem Trauma oder auch Traumafolgestörungen verstehen?

Kinder erleben oft Traumata in sozialen sowie auch in familiären Bezügen. Die traumatischen Erlebnisse sind nicht selten Bestandteil gesellschaftlicher Bewegungen und Globalisierungsprozesse, Ereignisse wie Krieg und Naturkatastrophen, Gewalt und Rassendiskriminierung. Dazu gehören auch die bedrohlichen Erfahrungen von aktueller Gefahr oder die Einschüchterung der eigenen physischen Integrität. Vernachlässigung und Misshandlung lassen sich als eine extreme Manifestation elterlicher Probleme charakterisieren. Sie zeigen sich in der Entgleisung und im Versagen adäquaten elterlichen Verhaltens, die tatsächlich häufig chronisch und Bestandteil der täglichen Beziehungserfahrung eines Kindes sind. Von Kindern erlebte Traumata, von Eltern im Stich gelassen oder missbraucht zu werden, sind zerstörerische Erfahrungen. Ereignisse, die mit realem oder drohendem Tod in Verbindung stehen, müssen den Charakter einer Gewalttat oder eines Unfalls haben.


Oftmals handelt es sich bei extrem bedrohlichen Situationen um körperliche Erfahrungen. Die Luft wird eng im Körper, man erstarrt und alles wird viel intensiver gespürt, als im ruhigen, eher ausgeglichenen Alltag. Emotional werden verschiedene Gefühlszustände aktiviert, wie z.B. Angst, Panik, Wut, Ohnmacht, Hilflosigkeit, Ekel, Taubheit. Das Gefühl des aussetzenden Denkens setzt ein, der Körper wird taub, schlaff und möglicherweise setzt eine Ohnmacht ein. Aber auch das Gefühl der Dissoziation (lat.: dissoziare – abspalten, trennen) kann in belastenden, traumatischen und stark stressigen Situationen einsetzen. In Folge dessen werden teilweise Körperteile nicht mehr als dazugehörige Teile des Körpers gespürt, das Gefühl Situationen, wie von oben zu beobachten oder auch gar kein Körperbewusstsein zu haben, können eintreten und sind hochgradig gefährlich für die eigene Psyche.


Ein Trauma ist somit ein sehr individueller Prozess, der aus gespeicherten Erinnerungen im Gehirn (in Form von Bildern, Gerüchen, Geräuschen, Gefühlen), sowie den gemachten und abgespeicherten Erfahrungen im Körper. Im Körper ist somit eine sich ständig wiederholende Antwort auf Stress tief gespeichert, welche zum Zeitpunkt des traumatisierenden Ereignisses eingefroren und somit festgehalten wurde. In unterschiedlichen Mustern auf den Ebenen von Bewegung, Atem und Haltung, können diese teilweise auch im Alltag sichtbar werden.


Gerät eine betroffene Person in eine Situation, welche bedrohlich oder belastend wirkt, so können unterschiedliche Impulse wie Flucht, Stagnation, Handlungswille einsetzen. Dies gelingt jedoch nicht, weil ihr Körper sie dabei im Stich lässt, sie sogar bloßstellen kann und keine Sicherheit bietet. Gefühle von Überachtsamkeit, Nervosität und Unruhe sind auch in entspannten, sicheren Räumen dauerhaft im Körper oder Kopf, sodass es in unterschiedlichsten Situationen zu Überreizungen, Lähmungs- und Taubheitsgefühlen und anderen unangenehmen Zuständen kommen kann – ohne das darauf aktiv eingewirkt werden kann. Diese Zustände können einzeln, miteinander in Kombination und abwechselnd auftreten, was dazu führen kann, dass Zustände von Unter- und Überregung sich abwechseln. Der Körper einer traumatisierten Person hat lebensbedrohliche Situationen durchlitten und diese Erinnerungen bleiben im physiologischen Gedächtnis erhalten. Alle Gefühle sind im Körper präsent: Die Empfindung von Erstarrung, Ohnmacht, Erinnerungen an Herzrasen, Übelkeit. Sie können nicht von alleine abgelegt werden und sind im Alltag eine große Herausforderung. Aus diesen Erfahrungen heraus entstehen körperliche Reaktionsmuster, wie eine dauerhaft verflachte/ erhöhte Atmung, Bewegungstendenzen, wie hochgezogene Schultern, gesenkter Blick oder eine Krümmung im Rücken. Durch die Aufrechterhaltung dieser Bewegungs- und Haltungstendenzen, werden Emotionen und Gedanken kreisartig aufrechterhalten und die traumatischen Ereignisse werden noch schwieriger verarbeitet. So kann sich eine komplexe Symptomatik entwickeln, wie z.B. Flashbacks, Intrusionen (ungewollte Erinnerungen), Wachsamkeit, Nervosität, Schlafstörungen, Taubheit, Verstärkung der Dissoziation und Vermeidungsstrategien. Aus diesen Symptomen heraus versuchen betroffene Personen alles zu vermeiden, was mit dem Trauma in Verbindung gebracht wird.


Steht es nicht im Widerspruch gleichzeitig über- und untererregt zu sein?

Im ersten Moment erscheint es als widersprüchlich, beide Zustände nahezu zeitgleich im Körper zu haben. Der Sympathikus aktiviert sich bei einer (anstehenden) Bedrohung und unser Körper bereitet sich mit dem gesamten Nervensystem und dem Organismus darauf vor, in einen Kampf oder eine Flucht zu gehen. Gelingt keine der beiden Strategien, so fällt der Körper ins „Freeze“, den Todstellreflex., welcher durch den Parasympathikus eingeleitet wird. Ein lebloser, tauber Zustand des Körpers entsteht. Menschen mit einer Traumafolgestörung leiden (je nach Art und Ausprägung des Traumas) unter einem dauerhaft aktivierten Sympathikus oder einem dauerhaft aktivierten Parasympathikus. In diesem Zustand oder dieser Verfassung betreten Personen unsere Yogastunden. Wie also die eigene Praxis so ausgeglichen gestalten, dass sie einerseits nicht zu ruhig und lähmend ist, gleichzeitig aber auch nicht zu körperlich fordernd und damit den Fluchtreflex aktivierend wirkt?


Wichtig: Diese beiden Zustände des Nervensystems bitte nicht nutzen, um andere psychische Erkrankungen, wie Schizophrenie, Depressionen oder ähnliches erklären zu wollen. Dafür sind diese zu komplex, um es „so einfach“ darzustellen und es braucht ein enormes Fachwissen, um dieser Fragestellung im Ansatz gerecht zu werden.


Wie gestalte ich eine Yogastunde denn nun traumasensitiv/-sensibel / achtsam?

Eine „klassische“ Yogastunde ist dadurch geprägt, das Yogalehrer:innen Asanas darstellen und Schüler:innen anweisen, diese umzusetzen. Es kann zudem zu verbalen, als auch körperlichen Korrekturen, sogenannten „Hands On“ kommen. Die Korrektur erfolgt somit durch die Hände, die Impulse geben und die Ausführung verdeutlichen sollen. Zudem werden die Asanas je nach Stil, Schule und Lehrer:in unterschiedlich lang gehalten und anschließend wieder aufgelöst, eine Pause zum Nachspüren eingenommen und weiter geht’s in die nächste Asana. Sprechpausen werden genutzt, um Schüler:innen bei sich ankommen zu lassen und auch um dazu zu motivieren, bei sich zu bleiben – mit den eigenen Gedanken und Gefühlen. Regelhaft wird am Ende ein Shavasana eingeleitet – auf dem Rücken liegend, präsent, wach und entspannt, um die Wirkung der Yogapraxis nachzuempfinden.


Ehrgeizige Ziele, welche durch Bilder auf Social Media von biegsamen, normschönen Körpern und häufig mit viel Sichtbarkeit nackter Haut mitunter geprägt sind, können das ursprüngliche Ziel des Yoga verfälschen. Aspekte von Ruhe, Achtsamkeit und Fokus verfälschen. Dies ist für Menschen mit Traumafolgestörungen schwierig, da sie meist einen gehemmten oder schwierigen Zugang zum eigenen Körper(-gefühl) haben. Sie könne Ängste aktivieren, ihren Körper als Feind oder ablehnend betrachten, dazu führen, das körperliche Grenzen nicht wahrgenommen werden. Als Lehrer:in kann an dieser Stelle der Ehrgeiz so wenig wie möglich gefördert werden, Asanas nur so lange zu halten und so weit zu gehen, wie es jedem einzelnen möglich ist. Traumatisierte Menschen neigen in aller Regel dazu:

  • eine Asana nicht früher zu beenden

  • weiter zu machen um nicht den Anschein zu erwecken „nicht fit genug“ zu sein

  • unangenehme Situationen auszuhalten, anstatt früher aufzuhören, ebenso wie die Stunde verfrüht zu verlassen

  • nicht etwas anderes zu machen als „alle anderen“

Hier zeigt sich ein innerer Anspruch und auch eine Erwartungshaltung, die dazu führt, dass Menschen mit Traumafolgestörungen nicht sichtbar auffallen und so „aus der Reihe tanzen“ wollen. Betrachtet man als dies und erinnert sich an die letzte Yogastunde, die genommen oder unterrichtet wurde, so wird schnell klar, dass das für einige Menschen sehr schwierig und herausfordernd sein kann, dies umzusetzen. Es gibt zudem verschiedene Verhaltensweise von Lehrer:innen, die (unbewusst) dazu führen können, das die Überachtsamkeit, aber auch der Lähmungsimpuls getriggert werden und auf der Matte dissoziiert wird. Dazu zählen z.B.:

  • herumlaufen im Raum des:der Lehrers:innen (einhergehender Kontrollverlust, wenig Nachvollziehbarkeit)

  • (ungefragte/unangekündigte) Korrekturen und Berührungen (Erinnerungen an ungefragte übergriffige Situationen)

  • Lange Sprechpausen/ verlängerte Stille in der Entspannung (Gefühl des verloren sein im Raum und in sich)

  • ambitionierter Umgang mit Yoga (sodass eigene Grenzen überschritten werden)

Die Ansprüche von betroffenen Personen an sich selbst sind häufig: nicht auffallen, nichts falsch machen und genügen. Die fehlende oder mangelnde Verbindung mit dem eigenen Körper führt damit fast automatisch zu einem erhöhten Verletzungsrisiko, da sich nicht getraut wird aufgrund von Erfahrungen durch Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung die eigenen Grenzen, körperlichen Empfindungen und Bedürfnisse mitteilen zu dürfen. Dem eigenen Körper, der eigenen Befindlichkeit und auch der individuellen Verfassung der Psyche wird in Kontexten von Unterricht teilweise weniger vertraut, als der Autorität der Lehrer:innen, denen sie eher Folge leisten, als auf sich zu achten.


Was ist das Besondere an einer Yogastunde nach TSY?

1. Introzeption

Das Stichwort an dieser Stelle stellt der Begriff Introzeption dar. Dies und die damit verbundene Sensivität zu fördern ist eines der grundlegenden Ziele. Der Begriff bezeichnet die Wahrnehmung und das Empfinden von Vorgängen, die im Inneren des Körpers geschehen. Diese registrieren z.B. Herzfrequenz, Schmerz, Temperatur, Atemgeschwindigkeit, Höhe des Muskeltonus, etc. Auch können so durch die körperliche Wahrnehmung Emotionen und Gefühle identifiziert werden, da Gefühle meist in unterschiedlichen Körperteilen mit einer Körperempfindung einhergehen (z.B.: „warme Wut im Bauch haben“). In der Introzeption werden die Veränderungen des eigenen Zustandes wahrgenommen, um dies zu trainieren und zu fördern braucht es Bewegung. Durch die erhöhte Fähigkeit der Introzeption kann man sich zunehmend der eigenen körperlichen Empfindungen bewusst werden und die Position des:der Beobachters:in kann eingenommen werden, um die eigene Körpersensation und damit verbundene Emotionen ohne triggernde Anteile zu sehen/fühlen. Stressreaktionen werden bewusster, können zugänglicher und reflektiert werden, aber auch der Anstieg von Erregung kann so bereits am Anfang abgebremst und weniger stark zugelassen werden. Ressourcen hierzu können Asanas oder hilfreiche Pranayamaübungen sein, die beruhigend und sicher auf das eigene System wirken.


2. Sprache

All das bedeutet konkret, dass körperliche Empfindungen, die in einer Haltung spürbar sind, vorher als Lehrer:in „registriert“, recherchiert und aktiv angesprochen werden. Dies meint auch Wahrnehmungen wie: Temperatur, Gewicht, Dehnung, Entspannung, Gleichgewicht, etc.

Es wird sich einer strukturellen und funktionalen Sprache bedient, was bedeutet, dass Gelenke, Muskeln, Knochen, Druck, Gewicht und Dehnung direkt benannt werden. Anleitungen sind Vorschläge und werden als Einladung formuliert, ebenso wie Vorschläge für introzeptives Wahrnehmen. Dies kann folgendermaßen lauten:

  • „wenn du möchtest…“

  • „wenn du soweit bist…“

  • „vielleicht möchtest du … ausprobieren.“

  • „vielleicht nimmst du beispielsweise eine Dehnung … möglicherweise einen Druck … das Gewicht … eine Muskelaktivität oder gar nichts wahr.“

Es werden so verschiedene Ziele verfolgt, denn Schüler:innen erhalten Ideen, Orientierung und das Wissen darüber, wie sich etwas anfühlen könnte, aber nicht zwangsläufig muss. Die Prozesskontrolle bleibt Schüler:innen erhalten, da Vorschläge und Ideen auf die eigene Empfindung angepasst und geprüft werden können. Eine Beziehung auf Augenhöhe wird angestrebt, sowohl im Unterrichten, als auch in der Kommunikation, da direkte Rückmeldungen im Unterricht gegeben werden dürfen, damit direkt darauf eingewirkt werden kann. So können langfristig die Botschaften aus dem Inneren besser gedeutet und auch verbalisiert werden, welche dann zu achtsamen absichtsvollen Handlungen und auch Handlungswissen führen können.


Wir geben zudem nicht vor, was erreicht werden soll, wie zum Beispiel: „angenehm, entspannt, gut, besser, etc.“, da dies ebenfalls Kriterien in unserer Sprache sind, die Schüler:innen nicht zu ihren eigenen Empfindungen zuordnen oder damit in Verbindung bringen können. So können Gefühle von Versagen und Hilflosigkeit ungewollt ausgelöst werden. Stattdessen laden wir dazu ein, die Asanas in ihrer Art und Weise zu spüren und nicht miteinander zu vergleichen, da dies ein Gefühl von vergangenem und gegenwärtigem hervorrufen kann, was ebenfalls hinderlich sein könnte.


3. Wahlmöglichkeiten

Erleidet man ein Trauma, so bedeutet es immer: Ich hatte keine Wahl, wurde nicht gefragt, konnte und durfte nichts entscheiden. Ein Trauma geht immer mit Macht einher, da diese über die betroffene Person bestimmt und sie unterworfen hat. Betroffene von traumatischen Erfahrungen, insbesondere mit einer komplexen Mehrfachtraumatisierung, brauchen die Möglichkeit wählen zu dürfen und müssen sich dies erst einmal wieder hart für sich selbst erarbeiten. Die Unterwerfung gegenüber Autoritäten (in diesem Fall auch Yogalehrer:innen, ohne das es so negativ wahrgenommen wird) ist ein fast klassisches Beispiel dafür, das kein eigenes Handlungsmuster vorhanden ist. Sie schalten innerlich auf den Autopiloten um, machen mit, spüren nichts mehr – quasi wie ein psychischer destruktiver Pausenknopf, der klemmt. Aus diesem Grund werden Wahlmöglichkeiten (pro Asana zwei bis drei) angeboten, um den Raum zu geben, selbst auszuprobieren, wie die Asana umgesetzt werden möchte. Anfangs passiert das Ausüben noch mechanisch, da das Leeregefühl sehr stark ist. Mit einer angemessenen Begleitung kann es jedoch dazu kommen, dass Schüler:innen auf ihr Inneres hören und beginnen, diese Botschaften zu nutzen, um eigene, wirkliche Entscheidungen innerhalb des Yogas zu treffen. Durch die Zunahme und das Wachstum der Selbstwahrnehmung erhöht sich nahezu automatisch auch die eigene Selbstbestimmung und die Selbstwirksamkeit. Dies kann von Schüler:innen im langen Prozess der TSY genutzt werden, um effektive Handlungen auch außerhalb der Yogamatte bewusst ausführen zu lernen. Im Yoga kann es sich dabei handeln, z.B. eine Asana zu beenden, Decke oder Bolster zu nutzen, Socken abstreifen, wenn sie stören. Die Ausführungen werden also so verändert, dass es für die Schüler:innen stimmt und mittels der eigenen inneren Rückmeldung abgeglichen wird, um zu prüfen, inwiefern noch Begebenheiten angepasst werden sollen/dürfen.


In all dem muss jedoch berücksichtigt werden, dass zu viele Wahlmöglichkeiten ebenfalls überwältigend sein können, wie zu wenig. Zwei Varianten anzubieten und eine in der Rückhand zu haben ist für den Anfang meist sinnvoll und kann ggfs. erweitert werden, wenn es sich um eine gemischte Gruppe bzgl. des Levels handelt. Wir aktivieren ein wenig unsere inneren Forscher:innen, indem Asanas ausprobiert und aktiv erforscht werden – in ihrer Wirkung – um zu entscheiden, was für jede:n gerade stimmig ist. Eine starke Kontraktion in den Schultern ist beunruhigend? Schau mal, ob du deine Arme sinken lässt. Spürst du einen Unterschied in der Spannung? Vielleicht ist es heute besser so. Versuch dir den eigenen Druck rauszunehmen und beobachte, wie du Muskelaktivität in ein Gefühl von möglicherweise Kraft und Energie umwandeln kannst. All das ist im Fluss und Wandel, so wie du dich heute anders als morgen fühlen kannst. Schüler:innen erhalten so das Gefühl und damit auch die Erlaubnis, sich selbst spüren zu können, wie sie sind und nicht wie andere sie haben wollen, sie empfinden oder was sie wahrnehmen sollen. Diese Erfahrungen sind in der Vergangenheit oft schon durch Gewalt und Übergriffe geschehen, weswegen sie fürs Überleben, verlernen mussten, sich zu spüren und sein zu dürfen.


In aller Kürze die wichtigsten Bedingungen des TSY:

  • Angebote anstatt Anweisungen

  • Fokus auf die innere Botschaft und deren Wahrnehmung, die nicht bewertet wird

  • Richtig oder falsch gibt es nicht, weder bei der eigenen Wahrnehmung, noch bei der Ausführung einer Übung (solange sie keine Verletzungsgefahr birgt)

  • Lehrer:innen machen immer mit und erforschen ebenfalls unsere eigenen Körperempfindungen

  • wir schlagen anhand der Wirkung einer Asana in unserem Körper vor, wie Schüler:innen diese möglicherweise spüren

  • Neugierde und Offenheit

  • Wahlmöglichkeiten bieten und Selbstwirksamkeit stärken

  • Der gegenwärtige Moment wird erforscht, wir bleiben im hier und jetzt

  • Beziehung auf Augenhöhe, Lehrer:innen ziehen auf der Matte keine Ego-Show ab, sondern nehmen sich eher etwas zurück

  • Mit der eigenen Stimme in Kontakt bleiben und vermeiden lange Sprechpausen

  • Wir arbeiten nicht aktiv am Trauma, decken es nicht auf und bearbeiten es auch nicht, sondern gehen am Trauma entlang (ohne Heilversprechen)

Yogalehrer:innen im TSY können eine wichtige Rolle im Behandlungssystem von traumatisierten Menschen übernehmen, da Werkzeuge erarbeitet werden können, die helfen, Affekte und Körperreaktionen unter Kontrolle zu bringen. Kenntnisse und Wissen über Ursachen, Symptomatik, Neurophysiologie von Trauma ermöglichen es, die Praxis zu erweitern und Menschen inklusiv zugänglich zu machen.


Dennoch: Wir sind keine Therapeut:innen, Sozialarbeiter:innen, Psycholog:innen, Ärzt:innen. Yoga ist eine mögliche Methode zur Begleitung von therapeutischen Ansätzen, sie ersetzt sie jedoch nicht. Bilde dich aus, denn du kannst mit wenig oder unfundiertem Wissen einem Trauma niemals angemessen begegnen. Alles bitte in Maßen und nicht gegen Empfehlungen von Profis!


Aus- und Weiterbildungsinstitute:

Verwendete Literatur:

  • Deutzmann, H. (2002): Yoga als Gesundheitsförderung. Grundlagen, Methoden, Ziele und Rezeption. Norderstedt: Books On Demand. Dunemann, A., Weiser, R., Pfahl, J. (2012): Traumasensibles Yoga – TSY. Posttraumatisches Wachstum und Entwicklung von Selbstmitgefühl. Klett-Cotta Verlag

  • Emerson, D., Hopper, E. (2014): Trauma-Yoga. Heilung durch sorgsame Körperarbeit: therapiebegleitende Übungen für Traumatherapeuten, Yogalehrer und alle, die ihren Körper heilen wollen. Unter Mitarbeit von Hildegard Höhr und Theo Kierdorf. 2. Aufl. Lichtenau/Westfalen: G.P. Probst Verlag.

  • Härle, D. (2016): Yoga traumasensitiv unterrichten. Jungfermann Verlag

  • Härle, D. (2015): Körperorientierte Traumatherapie. Sanfte Heilung mit traumasensitivem Yoga. Jungfermann Verlag

  • Plinz, N. (2012): Yoga bei Erschöpfung, Burn Out und Depression. Balance Verlag

  • Mehta, P, Sharma, M (2010): Yoga as a complementary therapy for clinical depression. Complement Health Pract Revue

  • Stephens, M. (2018): Yogatherapie. Methoden und Übungen zur Behandlung von Beschwerden und Krankheiten. Riva Verlag

  • Weiser, R., Dunemann, A. (2010): Yoga in der Traumatherapie. Stuttgart: Klett-Cotta (Leben lernen, 230).

  • Wendt, H. (2013): Zweites Geleitwort. In: Dietmar Mitzinger: Yoga in Prävention und Therapie. Ein Manual für Yogalehrer, Therapeuten und Trainer. 2. erw. Aufl. Köln: Deutscher Ärzte-Verl., IX.

 
 
 

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